Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Ich habe drei Tote gesehen: Meinen Vater und zwei meiner Schwestern. Sie sind alle an Krankheiten im Spital verstorben, danach hat man sie zu uns nach Hause gebracht, wo wir sie aufs Bett gelegt haben. Das wird in Angola ab und zu so gehandhabt: Nachdem eine Person verstorben ist, kommt sie nochmals für ein paar Stunden ins Haus, wobei üblicherweise ein Geistlicher anwesend ist. Danach habe ich sie auch im Sarg gesehen.
Mukhabbat Kamalova, Nukus (Karakalpakistan) - In meinem Leben habe ich bisher 4 tote Personen gesehen: Zwei Verwandte (meinen Vater und meine Großmutter), und zwei Bekannte. Meinen Vater habe ich gesehen, als er tot zu uns nach Hause gebracht wurde. Er ist am 18. Februar 2005 nach einem Besuch bei Verwandten überraschend aufgrund von Herzproblemen zusammengebrochen und gestorben, im Alter von 57 Jahren.
Als meine Großmutter starb, war ich im selben Raum anwesend. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihr. Ich bin bei ihr aufgewachsen, sie hat mich in allen Dingen beraten und war mir näher als meine Mutter. Wir wussten, dass sie im Sterben liegt, sie war 85 Jahre alt. Sie war sich im Klaren über ihr Sterben, wir haben bis zuletzt darüber gesprochen und so etwa auch im Voraus verabredet, uns mit Zeichen zu verständigen, wenn sie nicht mehr sprechen kann. Obschon ich gut verstanden habe, welche Erleichterung ihr das Sterben bringen würde, war es sehr schwer zu sehen, wie sie stirbt.
Die beiden toten Bekannten (ein Russe, ein Koreaner, beide Christen) habe ich im Rahmen der Trauerfeiern gesehen, zu denen ich eingeladen wurde. Sie lagen offen aufgebahrt im Sarg, sehr schön angekleidet und geschminkt, wie lebende Menschen. Je nach Wunsch konnte man an den Sarg treten und sich verabschieden.
Eine Fotografie meiner verstorbenen Grossmutter in meiner Wohnung.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Ich schätze, dass ich bisher an die 40 Tote gesehen habe. Die meisten sah ich auf Reisen oder wenn ich sonst irgendwo unterwegs war, als Leute Leichen zur Einäscherung oder Beerdigung transportierten. Ich habe auch an zwei Beisetzungen teilgenommen. Die erste war die meines Großvaters, den wir in der Nähe des Ganges kremiert haben. Das zweite Mal war ich dabei, als ein Verwandter bestattet wurde. In meiner Gesellschaft nehmen Kinder und Frauen nicht an Bestattungen teil.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Ich habe in meinem Leben einige tote Leute gesehen. Ich habe keine Ahnung, wie viele genau, aber wohl mehr als 20, einschließlich Verwandte, Verletzte auf der Straße, und sogar Raubopfer, die ermordet worden waren. Ich habe auch in den Printmedien Tote abgebildet gesehen, besonders in einer Zeitschrift namens „Alarma“ oder in anderen Zeitungen, die auf Sensationen aus und dafür bekannt sind, zu explizit zu sein.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Ich habe bisher ungefähr 10 Tote gesehen, die meisten davon beim zeremoniellen Waschen der Leichen von Eltern und Verwandten, das in meiner Religion Pflicht ist. Die Leichen werden von Spezialisten gewaschen, die der muslimische Gemeindeverbund unserer Stadt bestimmt. Ich habe während des Waschens nur männliche Leichen gesehen, weil es nach unserer muslimischen Religion nicht erlaubt ist, beim Waschen von weiblichen Leichen zuzuschauen.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - In Angola trägt man, nachdem eine Person gestorben ist, schwarze Kleidung. Das kann je nach Nähe, die man zur Person hatte, aber auch abhängig von der Region, in der man lebt, bis zu einem Jahr dauern. Angola ist ein sehr multikulturelles Land, in den verschiedenen Regionen gibt es ganz unterschiedliche Praktiken.
Mukhabbat Kamalova, Nukus (Karakalpakistan) - Wenn jemand stirbt, trauern wir zu Hause. An bestimmten Tagen (am Geburtstag; Todestag; am Gedächtnistag, d.h. einem nationalen Feiertag) gehen wir zum Friedhof und pflegen das Grab der betreffenden Person. Dort beten wir auch.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Eher introvertiert und zurückgezogen, für mich. Das Trauern ist weder an Daten noch besondere Vorkehrungen gebunden, sondern eher situativ und persönlich. Beerdigungen schaffen nach wie vor einerseits eine Situation, die einen emotional sehr mitnimmt; andererseits können sie einen Moment gemeinschaftlichen Trauerns herstellen. Der eigentliche Moment des Trauerns findet für mich aber im „stillen Kämmerlein“ statt. Trauerrituale muss man aktuell in den westlichen Kulturen weitgehend selbst erfinden.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Im Allgemeinen zu Hause. Die Trauerzeit beginnt unmittelbar nach der Einäscherung der Leiche und endet am Morgen des 13. Tages. Der Hinduismus verbietet exzessives Trauern oder Klagen über den Tod, weil dies den Übergang der verstorbenen Seele zu ihrer nächsten Reise beeinträchtigen könnte. Trauernde können den Toten in dieser Welt nicht helfen, deshalb sollten die Verwandten nicht weinen, sondern die Totenfeier so gut wie möglich verrichten. Gewöhnlich wird die Leiche innerhalb von 24 Stunden kremiert, jedoch gibt es keine Kremationen zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Unmittelbar nach dem Tod wird neben dem oder der Verstorbenen eine Öllampe angezündet, die dann 3 Tage lang brennt. Im Hinduismus bringt der Tod eine rituelle Unreinheit für die unmittelbaren Blutsverwandten des oder der Verstorbenen mit sich. Diese dürfen deshalb während der Trauertage keine religiösen Rituale ausüben, keine Tempel oder andere heilige Orte besuchen, nicht den Weisen (Heiligen) dienen, keine Almosen geben, nicht in den heiligen Schriften lesen oder daraus rezitieren, und auch nicht an gesellschaftlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Festen teilnehmen. Von den Angehörigen der verstorbenen Person wird nicht erwartet, dass sie Gästen zu essen oder zu trinken anbieten. Gewöhnlich essen oder trinken Besuchende in dem Haus, in dem die Person starb, überhaupt nicht. Verlangt wird von der Trauerfamilie, dass sie zweimal täglich badet, dass sie pro Tag nur ein einfaches, vegetarisches Gericht zu sich nimmt, und dass sie versucht, den Verlust zu verarbeiten.
Am Tag des Todesfalls kocht die Familie nicht, daher stellen dann meist enge Familienmitglieder und Freunde das Essen zur Verfügung. Die Trauerfamilie beteiligt sich an keiner Form von Unterhaltung. Weiße Kleidung (die Farbe der Reinheit) gebührt den Trauernden, sodass viele während der Trauerzeit weiß tragen. 9 Tage lange schneiden die Männer der Familie ihre Haare nicht und rasieren sich nicht, und die Frauen verzichten darauf, sich die Haare zu waschen. Am Morgen des 10. Tages schneiden alle Männer die Haare und rasieren sich, und alle Frauen waschen sich die Haare. Am Morgen des 13. Tages findet eine Feier („shraddha“) statt. Die Hauptzeremonie besteht aus Feueropfern, die den Vorfahren und Göttern geboten werden, um der verstorbenen Person ein friedvolles Nachleben zu sichern. Nach der Feier reinigt und wäscht die Familie typischerweise die Idole im Familien-Schrein, und man bietet den Göttern Früchte, Blumen, Wasser sowie gereinigtes Essen an. Dann beendet die Familie die Trauerzeit und kehrt und ins alltägliche Leben zurück.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Ich persönlich trage meine Trauer nicht öffentlich zur Schau, indem ich sie zum Beispiel durch meine Kleidung ausdrücke. Das wurde in meiner Familie nicht so gehandhabt. So wie ich es kenne, ist Trauer ein inneres Gefühl, das normalerweise durch eine besinnliche Laune und Niedergeschlagenheit zum Ausdruck kommt. Man vermeidet die feierliche Laune, doch das hält nur ein paar Tage lang an.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Bei einem Todesfall im engen Familienkreis trauern wir zwischen 6 Tagen und einem Jahr. In ländlichen Regionen tragen die Frauen überwiegend schwarze Kleider, doch in den Städten wird dies nicht mehr praktiziert. Enge Familienmitglieder verzichten während der Trauerzeit auf die Teilnahme an Festen mit Unterhaltung und Musik. Wenn das Jahr um ist, geht das Leben seinen gewohnten Gang weiter.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Ja, die gibt es. Die große Bedeutung dieser Beerdigungszeremonien ist, dass man sich daran erinnern soll, dass wir alle sterblich sind und dass uns eines Tages das selbe Schicksal ereilen wird. Sie erinnern außerdem daran, dass das Leben kurz und unvorhersehbar ist. Während dieser Zeremonien gibt es Lesungen, die auf der christlichen Beerdigungsliturgie basieren, sowie Gesänge und melancholische Hymnen, die in der Kirche vom Pastor vorgetragen werden, oder von jemand anderem, der zu diesem Zweck bestimmt wurde. Sie dauern ein bis zwei Stunden, die Familie, Freunde und Bekannte, die um den Verstorbenen trauern, gemeinsam verbringen.
Mukhabbat Kamalova, Nukus (Karakalpakistan) - Traditionell waren die Karakalpaken, ein zentralasiatisches Turkvolk, das dem sunnitischen Islam angehört, Halbnomaden. Es gilt die Regel: Nach dem Tod soll der Tote 3 Nächte lang in seinem Haus bleiben. Dies ist geschichtlich begründet, da früher die Entfernungen zwischen den Dörfern größer waren und es außer Eseln und Pferden keine Transportmöglichkeiten gab. Heutzutage sind die Entfernungen immer noch groß, aber die Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten haben sich verbessert. Trotzdem ist diese 3-Tage-Trauerzeit als traditioneller Akt geblieben. Je nach Situation kann die Zeit aber auch verkürzt werden.
Die Frauen der Familie der verstorbenen Person (Mutter, Tanten, Töchter, Schwestern, Cousinen) sitzen dabei im Hause des Toten im Vorraum im Kreis. Sie klagen laut. Die Familie ist verpflichtet, die Trauergäste zu verpflegen. Hierbei wird sie von allen Nachbarn unterstützt, die jeweils einen Teil der Gäste bei sich zu Hause aufnehmen und ihnen Essen servieren. Die Anzahl der Gäste hängt davon ab, wie viele Kontakte die verstorbene Person hatte. Es kann sein, dass bis zu 1.000 Gäste zur Trauerfeier kommen.
Stirbt eine Person, die älter als 80 Jahre ist, werden ihre Kleider im Vorraum, wo die Frauen klagen, aufgehängt und im Anschluss an die Trauerfeier an die Verwandtschaft verteilt.
Die Trauerfeier wird immer vormittags ausgerichtet. Gegen Mittag wird die tote Person gewaschen, in weißen Stoff gewickelt und auf eine Leiter gelegt. Bei der Waschung darf nicht geweint werden. Bevor der Leichnam zum Friedhof gebracht wird, versammeln sich alle Gäste draußen in der Straße und verabschieden sich von der toten Person. Dabei lesen hohe islamische Würdenträger aus dem Koran vor. Anschließend wird der Leichnam zum Friedhof gebracht, wobei die Leiter von nahen männlichen Verwandten getragen oder ins Auto gelegt wird. Die Männer begleiten den Leichnam zum Friedhof.
Der Ablauf dieser Zeremonie wird nach 40 Tagen und nach 100 Tagen sowie nach einem Jahr wiederholt. Die Jahresfeier wird ähnlich groß ausgerichtet wie die Trauerfeier.
Darüber hinaus werden bisweilen zusätzliche Gedenkfeste am Geburtstag oder Sterbetag der Person für die Verwandtschaft organisiert, bei denen ein islamischer Würdenträger längere Passagen aus dem Koran liest. Am nationalen Gedächtnis- und Gedenktag, dem 9. Mai, besuchen zudem alle Karakalpaken die Gräber ihrer Verwandten. Sie pflegen die Gräber und bringen dem Mullah, der den Friedhof betreut, „Baursak“ (gebratener Teig).
Für mich sind alle diese Gedenktage sehr wichtig. Sie helfen mir, die Trauer um die tote Person zu überwinden. Ich habe dann das Gefühl, dass ich mit meiner Trauer nicht allein bin, weil ich die Unterstützung von anderen Leuten, die an der Trauerfeier teilnehmen, fühle.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Offizielle Gedenktage wie etwa der „Volkstrauertag“, ein „Totengedenktag an die Kriegsopfer aller Nationen“, tangieren mich nicht. Ich bin in keine solche Kultur resp. Tradition eingebunden und weiß deshalb nur wenig darüber. Das Aufstellen von Kerzen (Totenlichtern) und das Niederlegen von Kränzen gehören dazu. Auch innerhalb der Familie ist das Gedenken eher situativ zufällig und individuell.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - In meiner Religion gibt es mehrere Gedenkakte:
1) Das erste Gedenken: Am 3., 5., 7. oder 9. Tag versammeln sich Verwandte, um das Lieblingsgericht der verstorbenen Person zu essen. Eine Portion wird vor seinem oder ihrem Foto dargeboten und später zusammen mit etwas brennendem Kampfer an einem einsamen Ort hinterlassen. Die Gewohnheiten für diese Periode variieren. Manchmal werden 9 Tage lang Reisbällchen („pinda“) offeriert.
2) Der 31. Gedenktag: Am 31. Tag wird ein Gedenkgottesdienst abgehalten. In einigen Richtungen des Hinduismus ist es eine Wiederholung des Bestattungsritus. Zu Hause beteiligen sich alle an einer gründlichen Reinigung des Hauses. Ein Priester erklärt das Haus für rein und führt einen „sapindikarana“ genannten Ritus durch, bei dem er eine große „pinda“ herstellt, welche die verstorbene Person repräsentiert, sowie 3 kleine, welche den Vater, Großvater und Urgroßvater darstellen. Der große Reisball wird in 3 Stücke zerschnitten und zu den kleinen gelegt, um in ritueller Weise die Seele für die nächste Welt mit den Vorfahren zu vereinigen. Die „pinda“ werden dann den Krähen oder an eine Kuh verfüttert, oder sie werden für die Fische in einen Fluss geworfen. Manche halten diesen Ritus am 11. Tag nach der Einäscherung ab, andere führen ihn zweimal durch, am 31. (oder 11., 15. etc.) Tag sowie nach einem Jahr. Nachdem der erste „sapindikarana“-Ritus vollzogen ist, endet die rituelle Unreinheit. Verbreitet ist auch eine monatliche Wiederholung während eines Jahres.
3) Einjähriges Gedenkfest: Am ersten Jahrestag des Todes (nach dem Mondkalender) führt ein Priester die „shraddha“-Feierlichkeiten durch, indem er den Vorfahren „pinda“ anbietet. Dies wird dann jährlich wiederholt solange die Söhne der verstorbenen Person leben (oder während eines anders definierten Zeitraums). Heute wird „shraddha“ in Indien oftmals kurz vor dem jährlichen „navatari“-Fest durchgeführt. Dieser Zeitpunkt ist auch für Verstorbene angebracht, bei denen der Todestag nicht bekannt ist.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Es gibt das „Fest“ des Tags der Toten, das eigentlich sogar zwei Tage dauert, 1. und 2. November, und das überall im Land gefeiert wird. Am ersten Tag werden die Kinder gefeiert und am zweiten Tag alle Toten. Rituale nehmen den Glauben auf, dass die Toten an diesen Tagen auf die Erde zurückkehren, um ihre Lieben zu Hause zu besuchen. Die Familie bereitet ein Festmahl, genannt „Opfergabe“, in ihren Häusern. Dazu gehören traditionelle Speisen und Getränke, welche die Toten gerne mochten, aber auch Blumen, Kerzen, religiöse Bilder und Fotos der verstorbenen Personen. Diese Opfergaben werden auch auf den Friedhöfen dargebracht. Alles findet in festlicher und nostalgischer Atmosphäre statt, von der Zubereitung der Speisen, hauptsächlich Brot für die Toten, bis zum Ende des zweiten Tages, wenn die Familien verzehren, was auf dem Altar steht, oder es zwischen Freunden und Verwandten aufteilen. Für mich ist dies eine der wichtigsten Traditionen meiner Kultur und meines Landes, denn sie enthält sehr repräsentative Elemente der prähispanischen Kultur in Kombination mit der kolonialen Kultur. Es ist eine bestens etablierte Praktik in meiner Familie, ich mag sie sehr.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Während der ersten 3 Tage wird das Haus für Besucher geöffnet, wobei Männer und Frauen getrennt empfangen werden. Der Anlass für die Männer findet in einem nahe gelegenen Nachbarhaus statt, um die Begegnung mit den Frauen zu vermeiden, die sich im Haus des oder der Verstorbenen treffen. Während dieser ersten 3 Tage kommen allerlei Verwandte und Freunde zu Besuch, um der Familie ihr Beileid auszudrücken.
Nach 7 Tagen organisiert die Familie eine „Mevlud“ genannte Zeremonie, bei welcher der Koran gelesen und für die teilnehmenden engen Freunde und Verwandte ein Abend- oder Mittagessen serviert wird. Der Anlass findet entweder für Männer oder für Frauen statt, wobei meist das Geschlecht der verstorbenen Person bestimmend ist. Beim Todesfall eines Mannes sind die Teilnehmer meistens ebenfalls Männer, beim Todesfall einer Frau sind es meistens Frauen. Der Anlass wird nach 40 Tagen wiederholt und dann noch einmal nach einem Jahr. Die Zeremonien werden vom verantwortlichen Haushalt geleitet und haben eine mehrfache Bedeutung: Während die Familien die verstorbene Person betrauern, wird deren Seele durch die Koran-Lesung des Imams genährt, und alle gemeinsam beten zu Gott dafür, dass die Seele mit dem Himmel belohnt werde.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Erd- und Feuerbestattung sind die gängigen Praktiken. Individuellere und gleichzeitig anonymere Bestattungspraktiken werden aber immer bedeutsamer, wie etwa Naturbestattungen und mehr oder weniger anonyme gemeinschaftliche Grabstätten. Letzteres gefällt mir. Ich finde es aber wichtig, einen spezifischen Ort zu haben, den ich als Trauernde aufsuchen könnte, auch wenn er nicht unbedingt namentlich gekennzeichnet werden muss. Wenn solche Orte naturverbunden sind, so sagt mir das sehr zu.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Im Hinduismus werden die Toten eingeäschert. Ich möchte eine einfache Bestattung ohne viele traditionelle Zeremonien. Ich möchte nicht, dass meine Asche in Flüsse gestreut wird, weil dies meines Erachtens die Flüsse verseucht. Ich würde es bevorzugen, wenn meine Familie meine Asche über den Feldern des Dorfes ausstreut, in dem ich geboren wurde. Sie könnten die Asche aber auch in einer Glasflasche oder in einem ähnlichen Behälter zuhause oder woanders aufbewahren.
Traditionellerweise werden alle Hindus außer Babys, Kinder und Heilige eingeäschert. Leichen von Babies, Kindern und Heiligen werden begraben. Die Leiche eines Erwachsenen wird deshalb kremiert, weil die Seele sich nach Vereinigung mit dem Körper sehnt. Sie weigert sich, den Körper zu verlassen, weil sie denkt, es gäbe noch Hoffnung, dass der Körper wieder in „Aktion“ treten könnte. Durch das Verbrennen wird also versucht, die enge Verbindung zwischen Körper und Seele zu kappen. Wenn die Seele den Körper brennen sieht, kommt sie zu der Einsicht, dass sie nicht mehr zu seiner Gestalt zurückkehren kann und entscheidet daher „weiterzuziehen“.
Diese Vorstellung der engen Verbundenheit fehlt normalerweise bei Kleinkindern, Kindern und Heiligen, da diese anspruchslos und unschuldig sind. Sie haben kein Ego und also auch kein „Ich“. Deshalb werden ihre Körper nicht kremiert. Dennoch müssen sie beseitigt werden, damit sie nicht von Schakalen, Hunden oder Geiern angefallen werden, was respektlos gegenüber dem Körper wäre. Daher werden sie begraben.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - In meiner Gemeinde und ganz allgemein in meinem Land ist es üblich, eine Nacht lang gemeinsam mit den Verwandten und Leuten, die den Toten nahe standen, eine Wache für die Verstorbenen zu halten. Es werden Kerzen entzündet und religiöse Gebete gesprochen. Am nächsten Tag wird der Leichnam zur Kirche getragen, um eine Messe zu halten, aber nicht immer. Auf jeden Fall wird der Leichnam dann zum Friedhof getragen, traditionsgemäß zu Fuß, wenn der Weg nicht zu weit ist. Normalerweise werden die Toten in der Erde begraben, doch gibt es auch andere Arten von Gräbern, zum Beispiel solche in der Form von Schubladen. Die Praktik der Kremation ist ebenfalls verbreitet, doch nur in der besser verdienenden Schicht, nicht in den Mittel- und Unterschichten. Manchmal ist es üblich, die Toten bei traditioneller Musik zu begraben, was normalerweise von den Leuten für ihre eigene Beerdigung gewünscht wird. Ich habe mir noch nicht viele Gedanken über meine eigene Beerdigung oder über die Art und Weise, wie sie abgehalten werden sollte, gemacht. Ich denke, ich mache mir darüber keine Sorgen. Eine traditionelle Beerdigung, ein Grab in der Erde, wäre ausreichend.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - In meiner Gesellschaft ist die Erdbestattung üblich, unabhängig von der Religionszugehörigkeit (muslimisch, katholisch, orthodox). In besonderen, oder sagen wir, in sehr seltenen Fällen, gibt es auch Feuerbestattung.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Sie führen in den Kirchen die Abdankungen durch. Wie diese genau durchgeführt werden, hängt von der jeweiligen Region und Religion an; es gibt in Angola Protestanten und Katholiken. Aber grundsätzlich besteht die Aufgabe der Würdenträger darin, die Zeremonien und Beerdigungen zu leiten und die Rituale durchzuführen, was ja eine Form des Abschieds mit den Verstorbenen ist. Außerdem haben sie die Aufgabe, die Hinterbliebenen zu trösten.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Generell eine große, wenn auch häufig nur der Form halber. D.h. es ist nach wie vor wichtig, die religiösen Rituale institutionell aufrechtzuerhalten und von kirchlichen Würdenträgern begleiten zu lassen, auch wenn der religiöse Glaube fehlt oder schwankt. Für mich persönlich spielen sie keine Rolle. Aber so lange keine anderen, überzeugenden Formen gefunden sind, geben sie sicherlich Halt.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Unsere Gesellschaft ist tiefreligiös, oder sie behauptet dies zumindest. Jeder Aspekt unseres Lebens wird durch Religion bestimmt und die Bestattungspraktiken sind keine Ausnahme. Religiöse Würdenträger führen als Vertreter der Religion alle Rituale, die mit Bestattungen zusammenhängen, entweder selbst durch oder sie beaufsichtigen sie, wobei sie sich an Vorschriften aus dem heiligen Text halten. Religiöse Würdenträger kommen bei den Todesritualen wegen des Glaubens an ein Leben nach dem Tod zum Einsatz. Es ist der Glaube daran, dass das irdische Leben vergänglich, das Leben nach dem Tod ewig und der Tod eine Reise hin zu diesem ewigen Leben ist; zur Verwirklichung der Erlösung oder „moksha“. Die Rolle der religiösen Würdenträger ist es, bei dieser so wichtigen Reise eine gewisse Unterstützung zu leisten.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Die Priester spielen bei der Beerdigung eine sehr wichtige Rolle, denn sie sind diejenigen, die den Verwandten und Nahestehenden Mut und Beileid aussprechen. Diese Worte haben Gewicht, denn sie repräsentieren irgendwie die am meisten autorisierte Stimme, die den Menschen Gottes Stimme näher bringen und interpretieren kann, und dies bietet in dieser hochreligiösen Gesellschaft eine sehr wichtige Perspektive für die Weltsicht.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Bei Muslimen ebenso wie bei Katholiken und Orthodoxen spielen religiöse Führer – d.h. ein Priester, Imam etc. – eine tragende Rolle. Sie lesen die notwendigen Gebete und geben das Wort in Ausnahmefällen an eine andere am Begräbnis beteiligte Person weiter, die für den oder die Verstorbene etwas Letztes sagen kann.
Mukhabbat Kamalova, Nukus (Karakalpakistan) - Bei uns gibt es die Auffassung, dass der Mensch nach seinem Tod entweder ins Paradies oder in die Hölle kommt. Wir sind dabei aber nicht so streng islamisch wie andere islamische Länder. Die Sowjetunion hat durchaus ihre Spuren hinterlassen, in der Formulierung eines Dichters: „Wir sind Halb-Muslime, Halb-Atheisten, in der einen Hand den Koran, in der anderen eine Flasche Wein.“ Die Auffassung „Leben nach dem Tod“ wird dabei generell so verstanden, dass gute Handlungen im Leben ein Ticket fürs Paradies sind. Ich bin diesbezüglich etwas skeptisch, da ich denke, dass gute Handlungen um ihrer selbst willen und nicht aus Angst vor der Hölle oder im Hinblick auf das Paradies begangen werden sollten.
Ich selbst bin der Auffassung, dass der Mensch nur physisch stirbt, seine Seele aber am Leben bleibt. Das sage ich allerdings vorsichtig, denn es kann sein, dass ich meine Meinung wieder ändere.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - In der säkularisierten westeuropäischen Kultur, in der ich lebe, sind solche Auffassungen wohl eher individueller Natur, wenngleich religiöse Bindungen sicher eine Rolle spielen. Gleichwohl nimmt der Wunsch nach einer Art Transzendenz angesichts der Profanität des Lebens wieder zu.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Die meisten Hindus glauben an den Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt, welche „samsara“ oder die Lehre der Wiedergeburt heisst. Man kennt „samsara“ auch als Theorie der Reinkarnation oder der Seelenwanderung. Diese Lehre zählt zu den Grundsätzen des Hinduismus. Der Lehre der Wiedergeburt zufolge sind die Unterschiede zwischen Individuen, sogar zum Zeitpunkt ihrer Geburt, in ihrem vergangenen „karma“ begründet, d.h. in Handlungen, die sie in einem vergangenen Leben begangen haben. Wenn ein Kind zum Beispiel gesund geboren wird, während ein anderes behindert oder blind ist, werden diese Unterschiede den Taten aus ihren vorherigen Leben zugeschrieben. So wie eine Person neue Kleidung anlegt und alte ablegt, so akzeptiert die Seele neue materielle Körper, nachdem sie ihren alten und nutzlosen aufgegeben hat.
Im Hinduismus gilt der Körper als eine Hülle, während die Seele unveränderlich und unzerstörbar ist und in einem Zyklus von Geburt und Tod verschiedene Leben annimmt. Das Ende dieses Zyklus wird „mukti“ (Erlösung) genannt, und die schließliche Vereinigung mit Gott ist Erlösung im Sinne von „moksha“. Dem „Garuda Purana“ zufolge (einem Buch über das, was einer Person nach dem Tod widerfährt), reist die Seele, nachdem sie den Körper verlassen hat, durch einen sehr langen und dunklen Tunnel nach Süden. Deshalb wird eine Öllampe angezündet und neben den Kopf des Toten gestellt, um den dunklen Tunnel zu beleuchten und der Seele die Reise angenehmer zu machen. Die Seele, „atman“ genannt, verlässt den Körper und wird entsprechend der Taten oder des „karma“ aus ihrem vergangenen Leben wiedergeboren. Wenn ein schlechtes „karma“ vorliegt, wird sie in Form eines Tieres oder einer anderen niederen Kreatur wiedergeboren; wenn die Person in ihrem vergangenen Leben hingegen gut gehandelt hat, in der Gestalt eines Menschen. Zwischen zwei Menschenleben ist es erforderlich, eine Strafe für ein schlechtes „karma“ im „naraka“ – der Hölle – zu ertragen, oder sich ihr gutes Karma im „svarga“ – im Himmel – belohnen zu lassen.
Immer wenn wir eine Leiche sehen, reden wir über das Leben nach dem Tod. Immer wenn wir jemanden sehen, der sehr schmerzhaft oder zufällig stirbt, denken wir, dass dieses Individuum in seinem vergangenen Leben schlechte Dinge tat und deshalb ein böses Ende erleiden muss. Normalerweise reden wir aber darüber nicht im alltäglichen Leben. Das Thema wird nur angesprochen, wenn wir sehen, dass jemand ein sehr gutes Leben hat, mit sehr viel Wohlstand und Geld, oder wenn jemand ein sehr hartes Leben führt, mit Krankheit und Schmerz. Dann sagen wir, dass dies aus ihrem vorherigen Leben resultiert.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Die vorherrschende Ansicht ist, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, was vor allem mit der Doktrin der katholischen Religion übereinstimmt. Nach dem Tod, so heißt es, wird die Person von Gott bezüglich all ihrer Taten beurteilt, die sie im Leben begangen hat, und dann wird entschieden, ob ihre ewige Existenz im Himmel oder in der Hölle stattfindet, wo die Leute Kollegen oder Angehörige wieder treffen. Ich persönlich stimme dieser Idee nicht zu, denn ich praktiziere diese Religion nicht, und ich glaube auch nicht an ihre Darstellung des Lebens nach dem Tod.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Wie in meiner Religion und Kultur üblich, glaube ich an die Auferstehung nach dem Tod sowie daran, dass meine Taten entsprechend von Gottes Urteil am Tag der Auferstehung belohnt oder bestraft werden. Ich glaube an Gottes Entscheidung, an Belohnung und Bestrafung, an Himmel und Hölle.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Ich habe mir weniger über die Frage Gedanken gemacht, wo und wie ich gerne sterben würde, als eher über die Frage wo und wie nicht: auf dem Asphalt nach einem Unfall; bei einem Terroranschlag; in einer kriegerischen Auseinandersetzung, sprich durch (abrupte) Gewaltausübung (Folter u. dgl.); usw.
Ich wünsche mir, in einem mentalen Zustand zu sterben, in dem ich – wie man so schön sagt – meinen Frieden mit mir und meinem Leben gefunden und gemacht habe, und gelassen Abschied nehmen kann, weil ich das Gefühl habe, dass sich etwas rundet und sinnvoll vollendet ... Diesen (Wunsch-)Zustand würde ich gern erreichen, aber ob das gelingt? Ich arbeite daran, was wohl ein gewisses – und auch mit den Jahren zunehmendes – Bewusstsein von der Endlichkeit des eigenen Lebens voraussetzt.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Ich würde es bevorzugen, im Schlaf zu sterben und einfach nicht mehr aufwachen, oder sonst auf friedliche Weise, ohne die Ahnung, dass es passieren wird. Ich möchte nicht für längere Zeit leiden müssen. Ich denke, dass es schön sein könnte, im Beisein von geliebten Menschen zu sterben, aber ich möchte diese Menschen nicht traurig sehen. Ich möchte ihnen keinen Kummer bereiten.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Dies ist ein Thema, das im Laufe meines Lebens häufig präsent war, obwohl ich darüber noch zu keiner Schlussfolgerung gekommen bin. Die Wahrheit ist, dass ich nicht glaube, bereit dafür zu sein, doch würde ich wohl gerne im Zustand der Bewusstlosigkeit sterben. Allerdings möchte ich auch nicht aufgrund von Gesundheitsproblemen leiden müssen, und ich möchte niemandem zur Last fallen, weil er sich um mich kümmern muss.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Ich würde gerne einen leichten Tod sterben, ohne Schmerz und Sorge, am liebsten in meiner Heimat, im Umfeld der Familie.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Ich habe noch nie eine geliebte tote Person fotografiert, aber wir haben einen Fotografen angestellt, um meinen toten Grossvater zu fotografieren (siehe Foto). Die Leute stellen häufig Fotografen an. In Zukunft würde ich gerne selbst mal ein Foto machen.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Ich habe noch keine toten Verwandten fotografiert. In meiner Familie und in meinem sozialen Kreis ist es nicht üblich, das zu tun, doch würde ich es machen, um die Erinnerung an einen geliebten Menschen in seinen letzten Momenten der Nähe festzuhalten.
Ein Bild von verstorbenen Freunden/Verwandten in meiner Wohnung.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Ich habe es noch nie gemacht und würde es auch nie tun, denn ich bevorzuge die Erinnerung an die lebende Person in guter Erscheinung.
Foto links: Hier steht das Album mit den Fotos meiner verstorbenen Schwester, die 2006 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.
Foto rechts: Meine verstorbene Schwester Elvan.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Das kommt unter anderem auf den Grad der Verwandtschaft an. Es kann zwei, drei Tage dauern, bei einem verstorbenen Ehegatten oder einer Ehegattin oder bei verstorbenen Eltern dauert aber bis zu sieben Tage. In dieser Zeit bleibt man zu Hause und geht nicht arbeiten und ruht sich auch aus. Schliesslich ist diese Phase – auch aufgrund der Bestattung – emotional sehr aufwühlend.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Das hängt von dem Bereich ab, in dem eine Person arbeitet, und auch davon, wie weit entfernt sie von ihren Eltern lebt. Normalerweise bleiben Leute der Arbeit 15 oder 16 Tage fern, d.h. 2 bis 3 Tage länger als die Trauerzeit (13 Tage). Wenn man eine staatliche Stelle hat, kann man 15 bis 20 Tage frei nehmen. Im Privatsektor muss man früher zur Arbeit zurückkehren, sonst wird man für die Fehltage nicht bezahlt. Im Privatsektor haben die Angestellten weniger Urlaub. Es hängt auch davon ab, wie weit entfernt die Person von den Verstorbenen wohnt. Wer sehr weit weg wohnt, wird der Arbeit länger fern bleiben als Personen, die bei ihren Eltern wohnen.
Zudem kümmern sich Leute nicht um die Arbeit, wenn ein Elternteil gestorben ist. Meines Erachtens bedeutet der Tod eines Elternteils im Allgemeinen einen sehr grossen Verlust oder gar einen Schock. Es braucht sehr lange, bis man wieder zu einem normalen Leben zurückkehren und den Schmerz und die Trauer hinter sich lassen kann.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Ja, das fände ich sehr wichtig. Es ist ein schwieriges Thema, über das man nicht gerne spricht. Dabei wäre genau dies eigentlich sehr wichtig. Ich würde eine offenere Gesprächskultur über den Tod daher sehr begrüssen.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Gewöhnlich vermeiden wir es, über den Tod zu reden, und jegliches Interesse für Themen, die mit dem Tod oder dem Sterben zusammenhängen, wird als Zeichen des Abnormalen, als Symptom für ein verdorbenes Gemüt angesehen. Wer über den Tod spricht, hat entweder suizidale oder mörderische Absichten, keine Lust am Leben und will unbedingt sterben. Die einzige Ausnahme sind sehr religiöse Leute, die sich selbst ständig an den bevorstehenden Tod erinnern, um sich von Abschweifungen fernzuhalten und ein reines, ehrliches und tugendhaftes Leben zu führen.
Die Frage stellt sich also, ob wir irgendwie normal über den Tod reden können, ohne eine dieser Kategorien zu erfüllen. Welchen Zweck erfüllt es und was versprechen wir uns davon? Ja, wir sollten öfter über den Tod reden als wir es tun, und es ist nicht unbedingt pathologisch oder extrem religiös. Es könnte einen heilsamen und ernüchternden Effekt auf unser Leben haben. Es wird uns lehren, das Leben anderer und auch unser eigenes stärker zu wertschätzen, und es wird uns inspirieren, etwas wirklich Bedeutendes daraus zu machen.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Nein, ich denke, dass dieses Thema in der mexikanischen Gesellschaft genügend Aufmerksamkeit erfährt, besonders in religiöser Hinsicht und in den Medien, in Sensationsnachrichten.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Meines Erachtens sollten wir nicht öfter darüber sprechen, da dies Aufregung und unangenehme Gefühle erwecken würde.
Andrea Gleiniger, Zürich / Berlin (Schweiz / Deutschland) - Vor allem Raum geben und Zeit lassen. Ich habe gelesen, dass es bedenklich sei, wenn Menschen länger als so und so viel Wochen trauern. Was für ein Wahnsinn, was für eine Kaltschnäuzigkeit, Trauer so zu pathologisieren! In dieser turbo-mobilen Arbeits- und Lebenswelt scheint mir das eine sehr große Gefahr. Dass das eine Frage ist, die Menschen umtreibt, zumal in Zeiten, in denen es keine verlässlichen, allgemeingültigen Rituale und Konventionen mehr gibt, zeigen die Blogs zu diesem Thema im Internet. In Berlin gibt es derzeit (Herbst 2014) eine Kinowerbung des Hospitz- und Palliativ-Verbandes Berlin e.V., also jener Gruppierungen, die sich um eine würdige Sterbebegleitung bemühen. Sie lautet: „Sterben. 1000 Worte für etwas, über das wir nie reden.“
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Der Tod stellt in unserer Kultur ein Paradox dar. Es ist entweder eine Gelegenheit, ein Leben zu betrauern, das von den eisigen Händen des Todes grausam entrissen wurde, oder aber, wenn wir eine religiöse Perspektive einnehmen, so ist es ein Moment, den Beginn von etwas Grösserem und Wichtigerem als dem Leben selbst zu feiern. Die erste Einschätzung ist bei uns aber viel häufiger, und zwar so sehr, dass es in einigen Teilen des Landes vor noch nicht allzu langer Zeit professionelle Trauernde gab, die man zum Weinen und Trauern anstellen konnte. Der Tod ist unvermeidlich, vorbestimmt und folgt so sicher wie die Nacht dem Tag, aber wir scheinen fast nie bereit, dies als Realität zu akzeptieren und mit dem Leben weiterzumachen. Die unaufhörlichen Rituale rund um den Tod bewirken nur, dass der Schmerz verlängert und der Fluss des Lebens unterbrochen wird.
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Manchmal kann der Tod in dieser Gesellschaft extrem aussehen: Einerseits, eine sehr banale Seite, zum Beispiel in Filmen oder Popmusik, wo die Geschichten von Drogenkriminalität erzählt werden; andererseits, eine sehr tiefgründige Seite, zum Beispiel wenn eine sehr berühmte und wichtige Person stirbt. Es wäre wahrscheinlich nötig, das Thema Tod aus einer stärker sozialen und humanistischen Perspektive zu diskutieren und zu reflektieren.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Im Moment nichts. Meines Erachtens folgen wir den richtigen Verfahren, die für unsere Kultur und Tradition bedeutsam sind.
Domingos João Pedro Bernardo, Luanda (Angola) - Natürlich ist der Tod ein Thema, das irritiert. Wenn jemand stirbt, dann erfahren wir auch, dass wir selbst sterblich sind – und überlegen uns, dass wir vielleicht auch als Nächster sterben werden. Aber trotzdem finde ich es wichtig, dass wir uns mit dem Tod auseinandersetzen und über ihn sprechen.
Rajneesh Yadav, Bhopal (Indien) - Meines Erachtens erfahren wir das Verhältnis zum Tod auf zwei Arten: zum einen gibt es ein Gefühl, welches der Gedanke an den eigenen Tod in uns erweckt, und zum anderen erleben wir den tatsächlichen Tod von geliebten Menschen.
Zum ersten Punkt lässt sich sagen, dass mein Verhältnis zum Tod in ständiger Bewegung ist. Je nach Lebensphase löst er verschiedene Gefühle in mir aus – als Kind erschien er mir als Schreckgespenst, in der Adoleszenz weckte er Neugierde, und im reiferen Alter nun ist es vielleicht eine Mischung aus beidem. Dazu kommt die Sorge um die Angehörigen, die wir dereinst zurücklassen.
Was Letzteres angeht, so kann wohl niemand die niederschmetternde und verheerende Wirkung einer solchen Erfahrung bestreiten – ganz egal wie leichtfertig wir alle manchmal darüber sprechen. Und es ist auch unabhängig davon, wie oft es einem passiert, denn die Wirkung steigert sich eher. Es wird nicht einfacher, je öfter man es erlebt. Es gibt allerdings einen positiven Aspekt, der mir während eigenen persönlichen Tragödien bewusst geworden ist, von denen ich leider mehr erlebte, als man sich wünschen würde: Immer wenn der Tod wieder zuschlägt, besonders, wenn die Todesursache unnatürlich ist oder ein Unfall passiert, taucht von neuem die Frage auf, wohin es denn gehen soll, so dass das Leben zu einem plötzlichen Stillstand kommt – aber dennoch bahnt sich die unaufhaltsame Kraft, die wir Leben nennen, immer wieder ihren Weg, so wie das Wasser eines Bergflusses um Steine herum fließt. Die Menschen, die uns unentbehrlich und unersetzbar schienen, werden irgendwie doch verdrängt, und das Leben hinkt zurück zur Normalität – oder zumindest fast, denn die nachwirkende emotionale Leere lässt sich wohl doch nicht völlig ignorieren, nicht wahr?
Rafael Hernández Espinosa, Texcoco (Mexiko) - Ich habe seit der Kindheit eine intensive Beziehung zum Tod. Ich habe gemischte Gefühle bezüglich des Themas, besonders mit der Vorstellung, dass unsere Existenz und unser Bewusstsein endlich sind. Auf reflexiver Ebene vertrete ich jedoch gerne die Idee, dass es vor dem Leben einen ähnlichen Zustand der Nichtexistenz gibt, der vielleicht analog zum Status des Todes ist, wo Zeit ziemlich relativ wird.
Veton Rruka, Prizren (Kosovo) - Ob wir es wollen oder nicht: Der Tod kann jeden Tag oder sogar jeden Moment kommen. Deshalb müssen wir bereit sein, dem Herrn zu begegnen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir irgendwann sterben werden und dass wir im Leben gute Taten vollbringen sollen.